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Arbeitskräftemangel in der Beschaffung: Dem Einkauf laufen die Talente davon

In kaum einem anderen Berufszweig sind aktuell mehr offene Stellen ausgeschrieben wie im Bereich des Procurements. Die Digitalisierung macht zwar auch vor dem Einkauf nicht Halt, aber kaum ein Branchenkenner geht davon aus, dass digitale Lösungen zu einem Jobvernichter werden. Im Gegenteil: Die Digitalisierung wird den Beruf vielfältiger, dynamischer und herausfordernder machen. Die Gehälter im strategischen und operativen Einkauf liegen schon für Berufseinsteiger über 45.000 Euro im Jahr, mit wachsender Erfahrung sind bis zu 90.000 Euro möglich. Dennoch zeigt sich aktuell ein gefährlicher Trend. Denn die Supply Chain verliert überproportional viele qualifizierte Mitarbeiter, insbesondere in den unteren Ebenen. Welche Gründe die „Talentflucht“ auslösen und wie Unternehmen gegensteuern können, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Vielfältige Gründe für eine Abwanderung der Talente

In einer aktuellen Studie  wurde die Situation im Procurement untersucht. Rund 200 Entscheider aus den USA und Großbritannien wurden zur aktuellen Lage befragt. Die Ergebnisse der Studie:

  • Mehr als ein Viertel der Nachwuchskräfte im Procurement plant einen Stellenwechsel in den nächsten zwei Jahren.
  • 99% aller leitenden Angestellten äußern sich besorgt über die Folgen der hohen Mitarbeiterfluktuation.
  • 62 % der Einkäufer geben eine hohe Arbeitsbelastung als Grund an, ihre Stelle zu wechseln.
  • Für 47 % sind mangelnde Aufstiegschancen der Auslöser für einen Wechsel.
  • 34 % der Befragten beklagen einen Mangel an Respekt für Ihre Arbeit.
  • 19 % fühlen sich von ihrem eigenen Unternehmen nicht wertgeschätzt.

Ein sich änderndes Arbeitsumfeld – und Unternehmen, die nicht darauf reagieren

Fast drei Viertel der Nachwuchskräfte im Einkauf sehen einen erhöhten Bedarf an berufsbegleitenden Zusatz-Qualifizierungen, um den sich ändernden Anforderungen noch gerecht zu werden. So gut wie alle Befragten, nämlich ganze 98 %, wünschen sich mehr Trainings und Schulungen. Das große Problem: Die Procurement-Jobs im Bereich Supply Chain erfordern häufig schon zu Beginn der Karriere umfassende strategische Entscheidungen und Problemlösungsansätze, auf die Nachwuchskräfte weder im Rahmen einer Ausbildung noch im Studium umfassend vorbereitet werden. Die jungen Fachkräfte werden „ins kalte Wasser geworfen“, werden mit hoher Arbeitsbelastung konfrontiert, können die an sie gestellten Aufgaben nicht vollumfänglich erfüllen, fühlen sich nicht wertgeschätzt – und verlassen in der Folge die Unternehmen, Ein beständiger, gefährlicher Kreislauf kommt in Gang. Das Resultat wird auf dem Arbeitsmarkt auch in Deutschland sichtbar.

Massenhaft freie Stellen und kaum Bewerber

Im Oktober 2021 wurde im Fokus (https://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/t_id_24286352.html) eine Übersicht über den Arbeitsmarkt in Deutschland veröffentlicht. Anhand von Daten des Portals stepstone.de wurde erkennbar, dass in kaum einer anderen Branche mehr Stellenanzeigen veröffentlicht wurden als im Bereich des Einkaufs, der Logistik und der Materialwirtschaft. Die Zunahme an Stellenanzeigen verdoppelte sich hier. Es gibt massenhaft freie Stellen entlang der Supply Chain – aber kaum Bewerber. Ein Grund hierfür könnten die hohen Anforderungen sein, die an Einkäuferinnen und Einkäufer gestellt werden. Schließlich kann sich kein Unternehmen Fehlbesetzungen im Procurement erlauben – denn auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzen in der Regel hochspezialisierte Vertriebsprofis. Procurement-Fachkräfte müssen nicht nur eine fundierte Ausbildung mitbringen, sondern darüber hinaus das eigene Unternehmen genauso gut kennen wie die Beschaffungsmärkte. Berufserfahrung ist unverzichtbar, genau wie die Fähigkeiten, laufende Kosten zu minimieren, Versorgungssicherheiten zu schaffen, hochgradig flexibel auf Änderungen reagieren zu können und Märkte ständig im Blick zu behalten. Hinzu kommen juristische Aspekte und Dokumentationspflichten nach einem Vertragsabschluss – und ein qualifiziertes Risikomanagement im Zusammenspiel mit den Lieferanten. Kurz gesagt: Einkauf kann nicht jeder. Doch wie gelingt es Unternehmen, den War on Talents in der Supply Chain zu gewinnen und leistungsstarke Nachwuchskräfte nicht nur zu finden, sondern vor allem dauerhaft an den Betrieb zu binden?

Der Fachkräftemangel ist im Einkauf angekommen – und der demografische Wandel wird den Trend nochmals verschärfen

Erfahrene, qualifizierte Einkäufer sind auf dem klassischen Arbeitsmarkt so gut wie gar nicht mehr verfügbar. In wenigen Jahren wird die „alte Riege“ der Einkäufer in den Ruhestand wechseln und den Mangel entlang der Supply Chain nochmals verstärken. Hinzu kommt ein Wechsel des gesamten Berufsbildes, der sich seit ungefähr 20 Jahren abzeichnet. Waren Einkäufer früher vorrangig operative Warenbeschaffer, liegt der Fokus heute auf der Forderung nach Generalisten. Moderne Einkäufer sind Projektmanager, mit interkulturellen Kompetenzen sicher auf globalen Märkten unterwegs und werden als Gestalter entlang der Supply Chain vom Lieferanten bis zum Kunden angesehen.

Es fehlt in Deutschland nach wie vor an einem: der einheitlichen Ausbildung. Es gibt keine Bildungsgänge und nur sehr wenige Studiengänge, die Nachwuchskräfte für eine Tätigkeit im Procurement qualifizieren. Vielmehr sind die aktuellen Einkäufer in der Regel Quereinsteiger aus unterschiedlichen Branchen, die sich ihr Expertenwissen durch Weiterbildungen und langjährige Erfahrung angeeignet haben.

Was können Unternehmen proaktiv machen, um Supply Chain Talents erst zu finden und an den Betrieb zu binden?

1)    Talente finden sich vor allem im eigenen Unternehmen. Der große Vorteil hier: Die Fachkräfte kennen den eigenen Betrieb bereits, sind in die Strukturen und Abläufe eingebunden und kennen die Anforderungen „von der Pike auf“.

2)    Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) verfügt bereits seit 2009 über die Fachgruppe „Personal im Einkauf“. Als größter Anbieter von Weiterbildungsmaßnahmen im deutschsprachigen Raum bietet der BMW Weiterbildungen zum Fachkaufmann Einkauf und Logistik, zum diplomierten Einkaufsexperten oder Einkaufsmanager.

3)    Über das BME Karriereportal (www.karriere.bme.de) können Unternehmen gezielt potenzielle Bewerber für den Bereich Einkauf ansprechen oder über die Bewerberdatenbank rekrutieren.

4)    Karrierechancen schaffen! Denn nur wenn Nachwuchskräfte Potenziale für ihren eigenen, beruflichen Aufstieg erkennen, werden sie bereit sein, sich dauerhaft an ein Unternehmen zu binden.